Modedesigner im Land von Tausend und einer Nacht

31.03.2010

Modedesigner im Land von Tausend und einer Nacht


Kairo: bräunliche Farbtöne und grüne Palmen unter versmogtem Himmel.

Sechs Studierende aus dem Fachbereich Modedesign an der MD.H München nehmen am internationalen Festival der Kulturen „MELEZ.Mode“ teil, das in das Programm der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 eingebettet ist. Sie sind Teil eines Kulturprojektes mit Modedesignkünstlern aus fünf Ländern, das im Oktober 2010 seinen Höhepunkt in einem außergewöhnlichen Laufsteg-Präsentation in der Bochumer Jahrhunderthalle findet.

Zum Projekt gehört auch die künstlerisch hochwertige Ethno-Kollektion „SinaGamila“ mit traditionellen Elementen der Beduinenkultur im Südsinai, an der junge ägyptische Designerinnen und die Münchner Modedesign-Studentinnen und –Studenten der MD.H gemeinsam arbeiten. Zur Kollektionsvorbereitung fuhren die sechs Studierenden nun auf eine dreiwöchige Studienfahrt nach Kairo, wo die Stoffauswahl und im dortigen Atelier der Zuschnitt für ihre Prototypen entstanden. Danach brachten sie die Stoffe zur Veredelung mit traditioneller Bestickung und Beperlung durch die Beduinenfrauen in den Sinai.

„SinaGamila“ ist eine gemeinnützige Initiative unter der Leitung der Essener Modedesignerin Susanne Kümper, die vom Goethe-Institut unterstützt wird. Nach der Modekunst-Show in der Bochumer Jahrhunderthalle im Oktober 2010 sollen die Prêt-à-porter-Teile, die zusätzlich zu den Bühnenoutfits geschneidert werden, im November 2010 auf der Messe „IMPORT SHOP BERLIN“ vermarktet werden.

Seit Januar arbeiten die MD.H-Studierenden, Tobias Müller, Stella Röth, Sandra Sättele, Sandy Schubert, Yonju Spiegel und Rebecca Vogl, unter der Leitung der Projektverantwortlichen, Susanne Kümper, und den Hochschuldozentinnen, Doris Schmitz und Andrea Wieland intensiv an Entwurf, Schnittentwicklung und Fertigung ihrer Beiträge zu der ägyptischen Modekunst-Kollektion. Es geht darum, die Lebensart, Kleidung, Schmuck und Tradition der Beduinen aus dem südlichen Sinai in moderner Form umzusetzen.

Die sechs Studierenden der MD.H engagieren sich gemeinsam mit ihren Dozentinnen weit über ihren normalen Studienalltag hinaus intensiv in dem spannenden Projekt. Besonders auf der Studienfahrt nach Ägypten haben sie in dem von Gegensätzen geprägten Kairo, auf den turbulenten Märkten und dem gastfreundlichen Sinai ganz besondere Eindrücke mitgebracht.

Die Studierenden wurden in Ägypten von einem Projektteam unterstützt: Susanne Kümper (Projektleitung MELEZ.Mode), Andrea Wieland (Dozentin Industrieschnitt und CAD, MD.H), Doris Schmitz (Dozentin Modedesign, MD.H), May Shaalan (Assistenz Kairo), Miriam Timmermann (Assistenz MELEZ.Mode) und Axel Krause (Fotograf). Finanzielle Unterstützung gab es von Seiten der Hochschule und dem Projekt MELEZ.Mode in Kooperation mit dem Goethe-Institut Kairo.

In dem folgenden Bericht schildert Tobias Müller ausführlich von den Eindrücken.

Reisebericht Kairo & Sinai von Tobias Müller

Angefangen hat alles mit einem sehr zeitintensiven Workshop an der Münchner MD.H im Januar, bei dem die ersten Skizzen und Entwürfe, Kollektionskonzepte, Farbauswahl, Illustrationen und Präsentationen entstanden sind. Diese wurden dann mit Hilfe unserer sehr engagierten Schnittdozentin Andrea Wieland in Prototypen aus Nessel umgesetzt und in den Koffer mit den anderen Präsentations- und Unterrichtsmaterialien gesteckt. Soweit vorbereitet ging es dann am späten Abend des 19. Februar zum Münchner Flughafen, um den Flug nach Kairo zu nehmen. Empfangen wurden wir um drei Uhr nachts von Susanne Kümper, welche halb in Deutschland und halb in ihrer Mietwohnung auf einer Nilinsel namens Zamalek in Kairo wohnt.

Kairo selbst ist eine faszinierende Stadt. Verstaubt und dreckig, voll mit unzähligen verschiedenen Gerüchen. Die bräunlichen Farbtöne der Straßenzüge, Häuserfassaden und Satellitenschüsseln passen perfekt zu den grünen Palmen, was dann durch den versmogten Himmel unterstrichen wird.

Unser Aufenthalt war sehr arbeitsintensiv, da die Prototypen noch angepasst, passende Stoffe gesucht, Stickereien entworfen und Illustrationen vollendet werden mussten. Von unserer Wohnung (vermietet durch DAAD in Kairo), welche direkt zwischen den Botschaften von Algerien und des Königreiches Bahrain lag, war es ein 10-minütiger Fußweg zum Atelier oder eine 3-minütige Taxifahrt für drei ägyptische Pfund (ca. 40 Eurocent).

Im Atelier entstanden dann auch die ersten Versuche mit Probematerialien, welche zuvor auf dem Stoffmarkt nahe der 26-Juli-Brücke gekauft wurden. Dabei mussten wir aufpassen, denn nicht alles, was als Seide angeboten wird, ist reine Seide. Hinzu kam das Gebot des Handelns, bei dem wir bis zu einem Drittel sparen konnten.

Zudem gibt es noch einige andere Märkte, beispielsweise in dem islamischen Viertel Khan El Khalili. Dort kann man alles kaufen, was ein typisches Touristenherz verlangt: von Miniaturpyramiden, Plastiksphinxen, bedruckten T-Shirts, Gewürzmischungen bis hin zu Armreifen und Dekolampen reichte das Sortiment. An jeder Ecke wird einem etwas nachgerufen, wo man denn herkomme, was man denn suche und ob man nicht einen schnellen Blick in den Laden werfen wolle. Falls dann doch nichts Passendes dabei ist, solle man doch bitte „one minute“ warten, denn er habe ja noch ein Lager irgendwo anders, wo es vielleicht noch etwas Passendes gibt, oder zumindest etwas Ähnliches. Die Gebäude sind sehr schön, alt oder teils noch nicht ganz fertig gebaut oder schon wieder eingestürzt, aber solange der unterste Stock noch benutzbar ist, wird das Geschäft weiter betrieben.

Die am häufigsten gestellte Frage, sobald man wieder zuhause ist, - „Und wart ihr auch bei den Pyramiden?“ – konnten wir mit ja beantworten. Die Pyramiden von Gizeh sind das einzige erhaltene der sieben Weltwunder der Antike. Sie zählen auch zum Weltkulturerbe und sind somit täglich von Touristenmassen umschart. Gegen einen kleinen Eintrittspreis konnte man dann auch in eine der Pyramiden, um sich die Grabkammer anzuschauen. Dabei ging man ca. 100 Meter gebückt eine Treppe hinunter, dann einen schmalen Gang entlang, wieder eine Treppe hinauf und stand dann in einem leeren Raum, in dem ein leerer Steinsarg stand. Grabschätze, Hieroglyphen und Mumien gab es leider keine, diese wurden schon vor langer Zeit in das Ägyptische Museum in Kairo gebracht, soweit sie noch vorhanden waren.

Die Hupe ist in Kairo das allgemeine Kommunikationsmittel zwischen Autofahrern und wird nicht nur, wie beispielsweise bei uns, als Aggressionsgegenstand verwendet. Wenn man beispielsweise auf eine leere Kreuzung zufährt wird gehupt, um damit mitzuteilen „Hallo hier bin ich“, damit kein anderer einem die Vorfahrt nimmt. Vielleicht ist es aber auch nur ein Taxi, welches einen anhupt, um zu fragen „Willst du vielleicht mitfahren?“. Die Streifen auf den Straßen sind größtenteils Dekoration, so schien es mir, und viele Straßen sind Einbahnstraßen oder haben zumindest eine steinerne Abtrennung zur Gegenspur, damit man überholen kann wo man möchte. Jede Lücke wird genutzt, solang das Auto reinpasst.

Das Projekt fand nicht nur in Kairo statt - nach zehn Tagen harter Arbeit ging es dann nach Dahab in den Sinai. Dort wurden die Kleidungstücke zu den Beduinen gegeben, damit sie bestickt werden konnten. Unsere Gruppe hatte die Ehre, in das Haus einer Beduinin eingeladen zu werden, dort gab es Tee und selbstgebackenes Fladenbrot. Man sitzt in einer aus Stein, Lehm und Wellblech gebauten Hütte auf Teppichen im Sand im Kreis und versucht sich mit grobem Englisch, Händen, Füßen und mit freundlicher Hilfe von Dalya Zoheir (Schmuckdesignerin aus dem Sinai) zu verständigen. Beduinen tragen meist schwarze lange Kleidung und bedecken ihr komplettes Gesicht, mit Ausnahme der Augen. Aber als Gast bei ihnen zuhause legen sie den Gesichtsschleier ab und zeigen ihre bunt bestickten Unterkleider als Zeichen des Willkommenseins. Fotografieren ist dort aber leider schwierig, da sie ein freundlicher Gastgeber und keine Touristenattraktion sein wollen.
Im Sinai waren wir als Ausgleich zu der getanen Arbeit mit einer Gruppe von Beduinen zum Kamelreiten in der Wüste und zum Klettern in einem Canyon. Ziel war eine Palmen-Oase, in der die Beduinen ihre Unterkunft aufgebaut hatten und es traditionelles Mittagessen gab, bestehend aus Fladenbrot mit verschiedensten Pasten aus Gemüse und Fleisch.

Zurück in Kairo wurde noch ein Outfit mit einer typisch ägyptischen Art von Patchwork (diese Technik heisst „Khayameia“, ähnlich dem amerikanischen „quilting“) verziert. Für diese Handarbeit gibt es einen ganzen Markt mit einzelnen Ständen, die ihre eigenen Designs auf Decken, Kissenbezügen und Taschen verkaufen, aber auch Aufträge annehmen.

Durch Susanne Kümpers Kontakte hatten wir auch die Gelegenheit, einen Einblick in eine Produktionsstätte für Feinstrickwaren zu bekommen. Dort werden beispielsweise T-Shirts in Akkordarbeit gefertigt, d.h. die Produktion wird in (bis zu) 50 einzelne Verarbeitungsschritte eingeteilt, und für jeden einzelnen Schritt gibt es eine Arbeitskraft.

Nicht zu vergessen ist, dass Ägypten ein sehr religiöses Land ist und in Kairo Unmengen von Moscheen stehen, welche sehr schön anzuschauen sind. Der Minarettengesang beginnt täglich bei Sonnenaufgang und ruft fünfmal am Tag die gläubigen Muslime zum Gebet.

In diesem Sinne: Ma'asalama („Gehe in Frieden oder einfach Tschüß“)


Studenten bei der Besprechung der Entwürfe.

Die ersten Versuche mit Probematerialien.

Islamische Märkte bieten alles was das Touristenherz begehrt.

Von Plastiksphinxen bis hin zu Gewürzmischungen wird alles feilgeboten.

Die Pyramiden von Gizeh sind das einzige erhaltene der sieben Weltwunder der Antike.

Die Hupe ist in Kairo das allgemeine Kommunikationsmittel zwischen Autofahrern.

Kamelreiten in der Wüste Sinai mit eine Gruppe von Beduinen.

Verzierung eines Outfits mit einer typisch ägyptischen Art von Patchwork.

Produktionsstätte für Feinstrickwaren.

Unmengen von Moscheen zeigen den hohen Stellenwert von Religion in Ägypten.

Autor: Tobias F. Müller, Modedesign 4. Semester MD.H