Reframing von Alterswelten - eine Herausforderung für die strategische Kommunikation

16.05.2011

Von „Facelifting für die Werbung“ ist die Rede. Im Fokus der Werbeindustrie stehen die „cleveren Kosmopoliten“ als gebildete, kaufstarke Zielgruppe oder die „illiquiden Traditionalisten“ als eher kaufkraftarme konservative Personen. „Alt ist nicht gleich alt. Die Menschen werden nicht homogener, nur weil sie älter werden“, wird die Geschäftsführerin der Werbeagentur Scholz & Friends in einem Beitrag der ARD Themenwoche zu Chancen einer alternden Gesellschaft zitiert (s. ARD Themenwoche zum demographischen Wandel).

„Jetzt müsst ihr uns was bieten!“ betitelt Die ZEIT in ihrer Ausgabe vom 28. April 2011 (DIE ZEIT Nr. 18, April 2011) einen Beitrag zum Thema alternde Gesellschaft und Fachkräftemangel. In den Kommunikationsabteilungen der Großkonzerne wie dem Chemieunternehmen BASF heißen die Projekte „Generation@work“ oder beim Automobilhersteller BMW "Heute für morgen“. Hinter den Labeln stehen Strategiekonzepte für die Personalpolitik, die eine dauerhafte Integration älterer Mitarbeiter in ein produktives Arbeitsleben fördern soll.


Prof. Saskia-Valeska Bruckner, Fachbereich Medien- und Kommunikationsmanagement an der MD.H München

Doch trotz zahlreicher Initiativen tun sich die Unternehmens-PR, der Werbesektor und selbst journalistische Genres schwer mit einer adäquaten Ansprache von älteren Personen und einer erfolgreichen Repräsentation von Alter(n) und Altsein in den Medien. Ein Patentrezept gibt es nicht, aus kommunikationsstrategischer Sicht ist ein „Reframing“ des Themas Alter(n)s und der medialen Altersdarstellungen gefragt.

Thema Alter(n) als Herausforderung für die Kommunikationsbranche

Fest steht: Die Aufmerksamkeit der Kommunikationsbranche ist den älteren Menschen und dem Thema Alter(n) in den kommenden Jahrzehnten sicher. Laut Angaben des Statistischen Bundesamts Deutschland wird es in Deutschland im Jahre 2050 doppelt so viele 60-Jährige wie Neugeborene geben (www.destatis.de).

Im Fachmagazin W & V (Ausgabe 9. September 2010) werden fünf Thesen präsentiert für die Kommunikation mit „Silver Surfern“, „Best Agern“ und reifen Erwachsenen. Alexander Wild, Vorsitzender Feuerabend Online-Dienste, Frankfurt a. M., empfiehlt für die Ansprache von Senioren: Best Ager schätzen Anzeigen, die fröhlich und vital wirken; die Werbung für Anti-Aging sowie der Einsatz von jungen Models wird abgelehnt; ein übersichtlicher Aufbau und der Einsatz einer überschaubaren Anzahl von Elementen ermöglichen den schnellen Zugang zur Anzeige; einprägsame Botschaften, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Produkt stehen, werden bevorzugt; Senioren hinterfragen Werbeversprechen und -botschaften kritisch und lassen sich nicht von oberflächlichen Informationen überzeugen. Doch wie lassen sich Kommunikationsstrategien begründen, um die Zielgruppe älterer Menschen in ihrer Lebenswelt zu erreichen und nach außen Alter(n)sbilder zu entwerfen, die authentisch und ansprechend wirken?

Neue Kommunikationsstrategie „Successful Aging“ statt Defizite und Verjüngung

Die gerontologische Forschung hat immer wieder darauf verwiesen, dass Bilder der sozialen Gruppe alter Menschen in der öffentlichen Darstellung häufig Übergeneralisierungen darstellen und stereotyp bipolare Muster vom negativen oder positiven Altern entwerfen (Kessler/Rakoczy/Staudinger 2003). Kommunikationswissenschaftliche Studien belegen die Tendenz, das Altenbild überpositiv zu revidieren und im Sinne von Antiaging- und Verjüngungsstrategien zu instrumentalisieren. Dafür werden zum Beispiel Strategien einer theatralischen Inszenierungslogik wie Kontrastierung von Alter und Jugend, Trivialisierungseffekte und Humor-Strategien eingesetzt (Willems/Kautt 2002, Thimm 2000, 1998, 1997).

Das Defizit- und Defektmodell des Alter(n)s geht von einem negativ geprägten Altersbild aus und beschreibt das Alter als einen Abbau intellektueller und emotionaler Fähigkeiten, der zumeist schicksalshaft verläuft und mit einem sozialen Rollenverlust verbunden ist (Lehr/Niederfranke 1991). Bei einem Reframing des Themas Alter(n) gilt es, das Defizit- und Defektmodell des Alter(n)s zu revidieren und Merkmale des erfolgreichen Alter(n)s in Altersdarstellungen zu integrieren. Die Potenziale älterer Menschen bieten einen strategischen Ansatzpunkt. Neben der biologischen Perspektive der Funktionsfähigkeit des menschlichen Organismus geht es um eine erweiterte Perspektive, die kontextuelle und gesellschaftlich-kulturelle Einflüsse einbezieht. Biologisch betrachtet hält das Alter physiologische, anatomische und genetische Ressourcen bereit; kulturell bestimmen soziale, physikalische, materielle und symbolische Faktoren das Altern. Der Ansatz des „erfolgreichen Alterns“ (successful aging) fokussiert sich auf die Chancen und Möglichkeiten im Alter und entwirft ein Gegenkonzept zum defizitären Alter. Ein Modell, das diese Ressourcen und Hindernisse des Alters zusammenführt, ist das „Resilience-Modell“ (Kessler/Staudinger 2003), das Alter als gegensätzlichen Zustand zwischen einem System aus limitierenden Faktoren und Verlust und einem System aus unterstützenden, gewinnbringenden Faktoren beschreibt.

Reframing von „bipolaren“ Alterswelten - Beispiel Werbekommunikation

Ein Blick in die Forschung über Altersbilder in der Werbung deutet auf eine „bipolare“ Darstellung von Alter hin: Als vorherrschend werden „Alter als Glück“ und „Alter als Problem und Stigma“ identifiziert (Willems/Kautt 2002): Alter als Glück zeigt sich in Darstellungen von „Partnerschaftsidyllen“ wie dem Leben in einer Zweierbeziehung und einem „Gemeinsam-alt-Werden“. Die zweite positive Inszenierung erfasst „Alter als Genuss, Muße und Gemütlichkeit“. Eine dritte Deutungsform glücklichen Alters spiegelt die ökonomische Dimension wider wie etwa „Wohlstand im Ruhestand“. Der organisierte Austritt aus dem Berufsleben stellt eine Art „Statuspassage“ dar, die sich die älteren Menschen verdient haben. Im Kontrast dazu wird Alter negativ als Problem und Stigma dargestellt und damit die biologische, psychische und soziale Dimension des Alters fokussiert. Konkrete Deutungsrahmen von „Alter als Krankheit und Beschädigung“ sind gekennzeichnet durch das körperliche Gebrechen des alternden Körpers sowie eine Einschränkung sozialer Integration und Partizipation in der Gesellschaft. Eine spezifische geschlechtsbezogene Modulation des Deutungsrahmens „Alter als Problem und Stigma“ stellt die Frage nach der Ästhetik im Alter dar, insbesondere die weibliche Identität.
Im Zeitvergleich der Werbekommunikation über drei Jahrzehnte zeigt sich, dass negative Altersstereotypisierungen rückläufig sind und Ältere „attraktiver, aktiver und sozialer“ dargestellt werden. Die absatzorientierte Produktwerbung agiert konsumentenorientiert und bildet ältere Menschen daher überwiegend positiv ab (Röhr-Sendlmeier/Ueing 2004: 56). Altersdefizite werden nur dort aufgezeigt, wo für Medikamente oder Mittel zur Linderung körperlicher Beschwerden geworben wird; visuell wird auf die Darstellung einer negativen Altersrealität dabei größtenteils verzichtet. Die Werbung bietet bei Altersverlusten einerseits Produkte als Lösung an oder Produkte, die verjüngen. Im Hinblick auf Altersgewinne werden die Produkttradition, Status und Macht sowie Wissen und Weisheit argumentativ eingesetzt (Schwender 2009: 90).

Framing-Ansatz als Basis für ein strategisches Kommunikationsmanagement

Das Konzept von „Frames“, „Framing“ und „Reframing“ findet sich in diversen wissenschaftlichen Disziplinen, insbesondere der Publizistik und Medienforschung (Dahinden 2006, Scheufele 2004, 2003, 2001, 2000, Reese/Gandy/Grant 2001). Der Begriff „Frame“ steht als Metapher für einen Bilderrahmen, der den Wahrnehmungsraum in zwei Bereiche unterteilt: In einen Bereich innerhalb des Rahmens, dessen Inhalte im Fokus der Wahrnehmung stehen, und einen Äußeren, der in der Betrachtung unbeachtet bleibt. Aus Sicht des Betrachters definiert „Frame“, welchen Ausschnitt der sozialen Realität dieser im Blick haben soll, und welche Aspekte außerhalb des Rahmens unwichtig sind. In der Kommunikationswissenschaft wird der Begriff häufig mit „Interpretations- oder Deutungsrahmen“ gleichgesetzt, der über verbale und visuelle Inhalte vermittelt wird (Dahinden 2006, Scheufele 2003, 2001). Grafisch ließe sich ein Framing-Prozess wie folgt skizzieren:

Framing und Reframing als mehrstufiger Kommunikationsprozess


Eigene Darstellung in Anlehnung an Dahinden 2006.

Der Framing-Prozess lässt sich beschreiben als Wechselwirkung zwischen kommunikativen und mentalen Schemata, die als „Fitting“ bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aufgefasst werden können.

Produzentenperspektive:

Verbale und visuelle Alter(n)sdarstellungen spezifischer Altersmilieus und Altersrepräsentanten werden in Bezug auf das strategische Kommunikationsziel selegiert und medial produziert; dabei werden bestimmte Aspekte vom Alter(n) und Altsein in den Vordergrund gestellt, andere aus dem Kommunikations- und Perzeptionsrahmen ausgeschlossen. Aufgrund von Feedbackmechanismen und Indikatoren der Akzeptanz oder Ablehnung werden diese einem „Reframing“ unterzogen.

Kommunikationsinhaltsperspektive:

Die Altersdarstellungen vermitteln Sinn- und Deutungsrahmen z. B. in Form von Bildwelten und Schlüsselbildern und verbalen Schlüsselbegriffen oder Beschreibungen spezifischer Altersmilieus. Diese sind Produkt der Gestaltung nach motivspezifischen, ästhetisch-gestalterischen oder editionstechnischen Kriterien.

Rezipientenperspektive:

Bei der Rezeption von Altersbildern, werden kognitive und affektive Schemata angenommen, die sich individuell und kollektiv durch Medienkommunikation etabliert haben. Diese steuern die Verarbeitung neuer altersbezogener Informationen. Folglich besteht zwischen Kommunikationsinhaltsframes und Rezipientenframes ein dynamischer Prozess unterschiedlicher Wirkungs-Effekte wie die Aktivierung, Modifizierung oder Etablierung von Deutungsmustern.

Als Anhaltspunkt für ein strategisches Reframing von Altersbildern kann die folgende Modell-Skizze hilfreich sein: Dabei verläuft die Eindrucksbildung über Alter(n) in der Wahrnehmung in der Regel, über so genannte „Old age cues“ (Altersmarker wie graue Haare, Falten, gebückte Haltung). Bildimmanente Schlüsselmerkmale wie soziale Beziehungen, Umgebung und Aktivitäten der abgebildeten älteren Menschen sowie gestalterische Merkmale sind entsprechend zu besetzen:


Modell-Skizze für ein Reframing vom Alter(n) (eigene Darstellung).

Fazit

Altersdarstellungen in der öffentlichen Kommunikation befinden sich im Wandel. Eine Reframing-Strategie in der Werbekommunikation oder PR kann helfen, die Zielgruppe älterer Menschen besser zu erreichen und die Vorstellungen vom Alter(n) bei Medienproduzenten und Rezipienten neu zu gestalten. In der praktischen Anwendung der Kommunikation mit älteren Menschen und über Alter sind künftig Deutungs- und Interpretationsrahmen gefragt, die Defizite des Alter(n) kontrastieren und gezielt Potenziale und Chancen aufgreifen. Kommunikationsstrategisch relevant ist es dabei, die Bipolarität von negativen und positiven Altersvorstellungen auf neue Lebenskontexte, Aktivitäten und Beziehungen älterer Menschen auszuweiten. Dabei gilt es, vielfältige Altersmilieus anzusprechen und multiple Altersbilder zu repräsentieren, um eine Identifikation im Sinne eines Selbstbildes und eine glaubwürde Fremdwahrnehmung vom Alter(n) zu ermöglichen.

Quellenverzeichnis:

  • Dahinden, U. (2006): Framing. Eine integrative Theorie der Massenkommunikation. Konstanz.
  • Lehr, U./Niederfranke, A. (1991). Altersbilder und Altersstereotype. In: W. Oswald/L. Wettermann/S. Kanowski/U. Lehr/H. Thomae (Hrsg.), Gerontologie. Stuttgart, S. 38-46.
  • Kessler, E.-M./Staudinger, U. M. (2003): Plasticity of Old Age – Resilience in old age: Taking a serious look at contexts. Manuscript prepared for Wahl, H.-W./Tesch-Römer, C./Hoff, A. (Hrsg.): Emergence of New Person-Environment Dynamics in Old Age: A Multidisciplinary exploration. Amityville, NY.
  • Kessler, E./Rakoczy, K./Staudinger, U.M. (2003): How realistic is the portrayal of older people in prime time TV series? Dresden.
  • Reese, S. D. (2001): Prologue – Framing public life: A bridging model for media research. In: Reese, S. D./Gandy, O. H./Grant, A. E. (Hrsg.) (2001): Framing Public Life. Perspectives on Media and Our Understanding of the Social World. New Jersey, S. 7-31.
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  • Röhr-Sendlmeier, U. M./Ueing, S. (2004): Das Altersbild in der Anzeigenwerbung im zeitlichen Wandel. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 37, Heft 1, S. 57-62.
  • Scheufele, B. (1999): (Visual) Media Framing und Politik. Zur Brauchbarkeit des Framing-Ansatzes im Kontext (visuell) vermittelter politischer Kommunikation und Meinungsbildung. In: Hofmann, W. (Hrsg.): Die Sichtbarkeit der Macht. Theoretische und empirische Untersuchungen zur visuellen Politik. Baden-Baden, S. 91-107.
  • Scheufele, B. (2000): “Scattered” or related – clarifying the framing concept by integration related approaches? In: Brosius, H.-B. (Hrsg.): Kommunikation über Grenzen und Kulturen. Konstanz. S. 381-396.
  • Scheufele, B. (2001): Visuelles Medien-Framing und Framing-Effekte. Zur Analyse visueller Kommunikation aus Framing-Perspektive. In: Knieper, T./Müller, M. G. (Hrsg.): Kommunikation visuell – Das Bild als Forschungsgegenstand – Grundlagen und Perspektiven. Köln. S. 144-158.
  • Scheufele, B. (2003): Frames – Framing – Framing-Effekte. Theoretische und methodische Grundlegung des Framing-Ansatzes sowie empirische Befunde zur Nachrichtenproduktion. Wiesbaden.
  • Scheufele, B. (2004): Framing-Effekte auf dem Prüfstand. Eine theoretische und empirische Auseinandersetzung mit der Wirkungsperspektive des Framing-Ansatzes. In: M & K 52. Jahrgang 1, S. 30–55.
  • Schwender, Clemens (2009). Alter als audio-visuelles Argument in der Werbung. In: Petersen, Thomas / Schwender, Clemens (Hrsg.): Visuelle Stereotype. Köln, S. 79-95.
  • Thimm, C. (1997): Alter als Kommunikationsproblem. Eine exemplarische Analyse von Verständigungsschwierigkeiten zwischen alten und jungen Menschen. In: R. Fiehler (Hrsg.), Verständigungsprobleme und gestörte Kommunikation. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 177-197.
  • Thimm, C. (1998): Die sprachliche Symbolisierung des Alters in der Werbung. In: Jäckel, Michael (Hrsg.): Die umworbene Gesellschaft. Analysen zur Entwicklung der Werbekommunikation. Wiesbaden, S. 13-140.
  • Thimm, C. (2000): Alter – Sprache – Geschlecht – eine kommunikationswissenschaftliche Perspektive auf das höhere Lebensalter. Frankfurt a. M.
  • Willems, H./Kautt, Y. (2002): Werbung als kulturelles Forum: Das Beispiel der Konstruktion des Alter(n)s. In: Willems. H. (Hrsg.): Die Gesellschaft der Werbung. Kontexte und Texte. Produktionen und Rezeptionen. Entwicklungen und Perspektiven, Wiesbaden, S. 633–656.

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Bildquelle

Prof. Dr. Saskia-Valeska Bruckner