Schärfe oder Perspektive – Raumtiefe als Gestaltungsmöglichkeit.

19.12.2014

Für die eigene gestalterische Arbeit besteht in dem Zusammenspiel der drei Faktoren Detailschärfe, Größenveränderung und Unschärfe ein großer Spielraum, um zu der jeweils gewünschten räumlichen Illusion zu gelangen. Raumtiefe kann je nach Wunsch von fast zweidimensional bis zum unendlich weiten Raum erzeugt werden.

Schärfe und Unschärfe sind zwei überaus bedeutende Parameter in der Bildgestaltung bzw. im Bildaufbau. Bei optimaler Verteilung wirkt das jeweilige Bild natürlich. Durch eine stärkere Gewichtung des einen oder des anderen Parameters lässt sich der Bildeindruck in einem gewissen Rahmen steuern. Wird dies jedoch übertrieben, so wirkt das Ergebnis unnatürlich. Die Grenze zwischen einem natürlichen und einem unnatürlichen Bildempfinden ist individuell verschieden.

In der Realität sind wir es gewohnt, eine Szene so wahrzunehmen, dass all das, was wir sehen, scharf wirkt. Genaugenommen ist aber der Eindruck des scharfen Sehens eine Illusion. Denn Gegenstände und Objekte die sich entfernt von uns befinden, sind unscharf. Aber das, was wir durch unsere Augen sehen, wird durch unser Gehirn zunächst analysiert und dann aufbereitet. Erst danach gelangt die Szene ins Bewusstsein, und unser Gehirn hat die Unschärfe, die durch die Entfernung entstand, ausgeblendet. Gleichzeitig erhalten wir eine genaue Vorstellung über die Entfernung zu dem jeweiligen Objekt.

Die unscheinbaren Rauminformationen


Durch Unschärfe in Bildbereichen die weiter entfernt sind, entsteht eine stärkere Illusion der Räumlichkeit (Grafik: Prof. Franz Tomaschowski)

Die Ursache dafür liegt an den für uns unsichtbaren Teilchen im Raum, wie winzige Wassertropfen (die wir als Luftfeuchtigkeit spüren), Staub, Stickoxide, Kohlenstoff usw. Die Wasserteilchen verhalten sich wie kleine Linsen, die das Gesehene verzerren. Die festen Körper überdecken die dahinter befindlichen Objekte. Im Ergebnis werden weiter entfernte Objekte nicht mehr scharf dargestellt. Deutlich wird dieser Effekt, wenn mit einem starken Teleobjektiv ein weit entfernter Gegenstand „herangeholt“ wird.

Je höher die jeweilige Luftfeuchtigkeit und je mehr feste Teilchen vorhanden sind, desto mehr verringert sich die Schärfe. Bei einem herannahenden Unwetter oder bei Föhn sind wenig Teile in der Luft, und die Entfernungen scheinen geschrumpft zu sein. An einem leicht diesigen Sommertag dagegen scheinen die gleichen Entfernungen weiter zu sein. Unschärfe stellt eine wichtige Möglichkeit dar, um Raumillusionen zu erzeugen. Ein völlig anderes Konzept in der Wahrnehmung von Räumlichkeiten ist die Perspektive, die durch Größenveränderungen, schräge Linien und Fluchtpunkte entsteht. In diesem Fall entsteht mit zunehmender Entfernung eine größere Informationsmenge im Bild.


Vergleich der Raumillusion mittels eines nachträgliche geschärften Bildes (links) und einem Bild, in dem die vom Betrachter weit entfernten Bildbereiche weichgezeichnet wurden. (Foto: Prof. Franz Tomaschowski)

Beispiel: Sie sitzen auf einer Bank am Bahnsteig eines großen Bahnhofes. Steht ein Zug direkt vor Ihnen, so können Sie einen oder zwei Wagen sehen. Steht jedoch ein Zug mehrere Gleise von Ihnen entfernt, so können Sie vielleicht sogar den ganzen Zug sehen.

Unsere Adleraugen...

Mit dem Begriff der Sehschärfe wird definiert, wie fein oder filigran Gegenstände sein können, bevor sie zusammen verschmelzen. Mit zunehmender Entfernung verschmelzen kleine Objekte scheinbar miteinander. Es können beispielsweise die Blätter oder Zweige eines Baumes nicht mehr einzeln wahrgenommen werden, genauso wenig das Muster einer Lautsprecherboxenverkleidung.


In diesem Beispiel entsteht die Raumillusion durch Fluchtlinien und dem Überdecken von entfernteren Objekten (Foto: Prof. Franz Tomaschowski)

Die Maßeinheit für Sehschärfe nennt sich „Visor“. Aufgrund unterschiedlicher Messmethoden schwankt dieser Wert beim Menschen zwischen 1 und 1,5. Der letztere Wert wird auch einem Adler zugeordnet.
Die Sehschärfe ist jedoch im Alltag nicht gleichbleibend. Für eine hohe Sehschärfe sind bestimmte Voraussetzungen notwendig. Nur wenn die folgenden Faktoren eingehalten werden, können wir absolut scharf sehen:

  • Ideale Helligkeit: Mit zunehmender Dunkelheit stellen viele Sehzellen ihre Funktion ein. In einer zu hellen Umgebung dagegen kommt es zu Überstrahlungen.
  • Ein direkter Blick: Sehzellen sind in unseren Augen ungleich verteilt. An den Rändern befinden sich so wenig Sehzellen, dass lediglich grobe Formen wahrgenommen werden können. Lediglich in der Fovea kommt es zu einer Häufung von Sehzellen.
  • Qualität unseres Auges: Die Sehkraft der Augen ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Das moderne Bild

Vormals wurden Bilder und Videos auf analogem Filmmaterial abgelichtet. Diese sogenannten Halbtonfilme können Verläufe und Strukturen der Bilder optimal darstellen. Dies kann der orthochromatischen Film oder Strichfilm nicht. Typisch für den Halbtonfilm sind die leicht unscharfen Kanten eines Motivs. Dies ist nicht besonders auffällig, da bei Röhrenmonitoren der Bildschirminhalt ebenfalls unscharf dargestellt wird.

In einem aufwendigen Laborprozess können Bilder, wenn sie zusammen mit einer unscharfen Kopie vergrößert werden, im Nachhinein geschärft werden. Dieses Verfahren nennt man „unscharf Maskieren“. Dadurch werden die Objektkanten geschärft. Dieses Verfahren wurde für Filme und auch für groß abgebildete Fotos oder Titelbilder angewendet.


Die Kombination von FLuchtlinien und Unschärfe im weiter entfernten Bildteillen schafft die höchstmögliche Raumtiefe (Foto: Prof. Franz Tomaschowski)

Inzwischen hat sich die Technik weiterentwickelt. Unscharf Maskieren gibt es als digitale Bearbeitungsmöglichkeit und dies gehört inzwischen zum Standard sowohl bei der digitalen Aufnahme als auch in der elektronischen Nachbearbeitung. Die Anwendung ist recht einfach und lässt sich automatisieren, so dass fast alle digitalen Bilder zusätzlich geschärft sind. Weiterhin sind LED-Monitore zum üblichen Standard geworden. LED und LCD Monitore können Bilder wesentlich schärfer darstellen als Röhrenmonitore. So werden die digital geschärften Bilder auch in ihrer vollen Schärfe dargestellt.

Flat Design

Flat Design ist eine neue Designkategorie, die seit einiger Zeit so manch einen Gestalter erschreckt. Die Designschmiede Microsoft hat den Begriff mit der Veröffentlichung des Betriebssystem Windows 8 geprägt. Microsoft und Design - sind das nicht Universen, die sich von Natur aus widersprechen? Man mag dazu stehen wie man will. Der revolutionäre Aspekt des Betriebssystem Windows 8 war die Gestaltung der Benutzeroberfläche. Inzwischen wurde diese Art der Darstellung in nicht nur in weiteren Designbereiche übernommen und adaptiert, sondern auch von anderen Betriebssystemen übernommen.

Dieses neuartige Erscheinungsbild besteht im Wesentlichen aus interaktiven Schaltelementen (Buttons). Diese Rechtecke und Quadrate sind reine Farbflächen. Auf jegliche bildhafte Struktur wird verzichtet. Dies hat zur Folge, dass Informationen über Raumtiefe und Perspektive sowie unterschiedliche Ebenen fehlen. Der Betrachter sieht zweidimensionale Flächen vor sich. Diesen rein grafischen Elemente können Informationen zugeordnet werden, wie die vielen kleinen Zettel, auf denen wir notieren, was wir nicht vergessen möchten. Sicher kennt jeder das unangenehme Gefühl, wenn der eigene Lebensraum (Schreibtisch, Kühlschrank oder Computermonitor) mit solchen Zetteln völlig überklebt ist. Die Ebene, die sich unter den Klebezetteln befindet, ist nahezu verschwunden.

Der Computermonitor, der ursprünglich ein Fenster (Window) darstellt, durch das wir neue Welten entdecken oder erschaffen können, ist nicht mehr existent. Dafür sind die Informationen, die in den Kacheln angezeigt werden, ganz dicht vor unserem Auge. Wir bleiben in den Informationen verfangen, die wir ausgewählt haben.

Grenzen, um die Illusion einer Raumtiefe zu erzeugen

Um die Illusion von Weite in einem Bild, einem Video oder einem Foto zu erzeugen, bieten sich hauptsächlich zwei Möglichkeiten an: eine spezielle Bildkomposition mit deutlichen Größenveränderungen und Fluchtlinien, sowie die Unschärfe bei weiter entfernten Gegenständen.


Sind lediglich einige wenige Perspektiveninformationen in einem Bild vorhanden, entsteht ein räumlicher Eindruck (Foto: Prof. Franz Tomaschowski)

Wird eine Szene fotografiert oder gefilmt, so ist man heute bemüht, sämtliche Gegenstände möglichst scharf abzubilden. So entstehen Bilder, auf dem sämtliche Gegenstände klar und deutlich erkennbar sind. Nichts verschwimmt. Alle Details fallen unweigerlich ins Auge unabhängig von ihrer Entfernung vom Betrachter. Gleichzeitig wirken solche Bilder zweidimensional, denn eine räumliche Tiefe ist kaum noch vorhanden. Das Hinzufügen einer nachträglichen Bildschärfung geht mitunter soweit, dass an kontrastreichen Konturen weiße Linien zu erkennen sind. Ein solches Foto ist überscharf. Eine hohe Bildschärfe geht zu Lasten der Raumtiefe. Derartige Bilder wirken zweidimensional und fast grafisch. Das Unterbewusstsein versucht die fehlende Raumtiefe zu kompensieren. Ob dies gelingt, hängt von der Seherfahrung des jeweiligen Betrachters/Zuschauers ab.

Eine Grenze bei der Illusion von Raumtiefe durch Unschärfe ist an dem Punkt erreicht, an dem sich die Bedeutung des Bildes verändert. Ein typisches Beispiel ist Nebel. Eine Landschaft im Nebel wirkt ebenfalls zweidimensional. Objekte erscheinen scheinbar aus dem Nichts und verschwinden ebenso schnell in der weißen Nebelwand.

Raumtiefe als Gestaltungsmöglichkeit

Für die eigene gestalterische Arbeit besteht in dem Zusammenspiel der drei Faktoren Detailschärfe, Größenveränderung und Unschärfe ein großer Spielraum, um zu der jeweils gewünschten räumlichen Illusion zu gelangen. Raumtiefe kann je nach Wunsch von fast zweidimensional bis zum unendlich weiten Raum erzeugt werden.


Als wichtigster Faktor in der Erzeugung von Raumtiefe ist der Bildinhalt zu sehen. Bilder, die aufgrund unserer Seherfahrung eine Raumtiefe beinhalten, wirken immer perspektivischer. Gestalterisch kann dies unterstützt werde. (Foto. Prof. Franz Tomaschowski)