Jugendfernsehen in Deutschland - Ein Auslaufmodell?

27.11.2016

„Jugendliche sehen alle Formen von Sendungen, sogar solche, die für sie gedacht sind.“
MATTUSCH 1993: 25

1. Einführung [1]

Das voranstehende Zitat des Medienwissenschaftlers Uwe Mattusch zeigt die Problematik der medialen Sozialisation von Jugendlichen, die nicht auf zielgruppenspezifische Sendungen beschränkt ist. Die heterogene Zielgruppe der Jugend schafft Gemeinschaft nicht mehr primär über das Alter, sondern vielmehr über die Identifikation mit speziellen Trends und Lebensstilen (GROSSEGGER 2012: 4). Es scheint, als habe der soziokulturelle Wandel, der keine einheitliche Charakterisierung von Jugendlichen mehr zulässt, jugendspezifische Präsentationsformen abgeschafft. Hier liegt auch das eigentliche Bestimmungsproblem der Programmsparte Jugendfernsehen sowie die klare Abgrenzung zum Erwachsenenprogramm. In Anlehnung an den Gast’schen Arbeitsbegriff versteht Mattusch unter Jugendsendungen solche Sendungen, „die sich gezielt an die Gruppe der Jugendlichen wenden (Zielgruppenkonzept) und an regelmäßig wiederkehrenden Programmplätzen gesendet werden.“ (MATTUSCH 1993: 28).

2. Die historische Entwicklung des Jugendfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland

„Wir sind mehr als nur ein Fernsehsender, denn wir sind euer Sprachrohr und euer Freund, und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?“
Anmoderation von Heike Makatsch zum Sendestart von VIVA 1993, KLEINE ZEITUNG 2013

Als in den 1950er Jahren das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem in der Bundesrepublik Deutschland seinen Sendebetrieb aufnimmt, ist das Fernsehen noch eine mediale Randerscheinung und ein eigener Fernsehapparat zählt mit einem Anschaffungswert von ca. 1000 Mark zu einem Luxusgut, den sich nur wenige Haushalte leisten können (ZEIT 2006). Jugendliche gelten in dieser Zeit als „unreife und schutzbedürftige“ Personen (KRÜGER PFEIL-SCHNEIDER 2006: 254f.) und sind kein kritisches oder ernstzunehmendes Publikum (MATTUSCH 1993: 33). Dieses Verständnis spiegelt sich auch im Programmangebot der 50er und 60er Jahre für Jugendliche wider. Das Medium Fernsehen hat neben den festen Institutionen Schule und Erziehungsberechtige die Rolle der Vermittlung von pädagogischen und bildungsorientierten Inhalten.

Erst mit der Schüler- und Studentenbewegung Mitte der 1960er Jahre ändert sich das Verständnis der Zielgruppe „Jugend“ und die Programmverantwortlichen werden aufgefordert, ihre Zuschauer als kritische und selbstbewusste Personen anzusehen, die ein Sendungsangebot mit einer ernsthaften Auseinandersetzung ihrer Bedürfnisse und Probleme verdienen (MATTUSCH 1993: 35). Der Wandel geht mit Jugendmagazinen wie BAFF (WDR) oder DIREKT (ZDF) einher, und das einstige sehr enge Verständnis von Jugendfernsehen weicht einer moderneren unkonventionelleren Aufmachung und der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlich und politisch relevanten Themen (BETZ 1974: 9). Trotz allem bleibt aber der Anteil von „thematisch unverfänglichen Themen“ im Programmangebot für Jugendliche noch relativ hoch.

Die Einführung des dualen Rundfunksystems bringt für die Zuschauer eine Vielfalt an neuen Unterhaltungssendungen (KOUKOULLI 1998: 9). Dabei richtet das Privatfernsehen Inhalte nicht mehr gesondert an Jugendliche, sondern konzipiert ein Vollprogramm, das den massentauglichen Geschmack der werberelevanten Zielgruppe der 14 bis 49jährigen treffen soll. Jugendlichkeit suggeriert stattdessen nur noch die äußerliche Erscheinungsweise der Sendungen mit schnellen Schnitten, lebhaften Szenenfolgen, aufregenden Shows und lässigen Auftritten der Moderatoren (BPB 2012). Amerikanische Serien und Sitcoms wie Beverly Hills, 90210, Melrose Place, Friends, Full House und Vorabendserien der Gattung Daily-Soap treffen den Nerv der Jugend und nehmen durch die alltags- und jugendorientieren Themen einen festen Platz im Leben der Zuschauer ein (KOUKOULLI 1998: 9).

Neben der Vielzahl an fiktionalen Angeboten stillen auch das Musikfernsehen der Spartensender VIVA und MTV, sowie Musiksendungen der privaten Fernsehanstalten Mitte der neunziger und Anfang der Jahrtausendwende das Unterhaltungsbedürfnis der Jugendlichen. Sendungen der Privatsender sind zu der Zeit: Top of the Pops (RTL, 1998-2006, Chartshow), The Dome (RTL II, 1997-2002, Musikshow), Popstars (RTL II, 2000-2011, Casting-Show) (GEHRMANN 2003). Die Musiksendungen positionieren sich als ein Angebot für ein „jugendkulturorientiertes Publikum“ (GROSEGGER 2004: 5). Das Ende dieser Ära macht sich mit der Fusion der einstigen Konkurrenten MTV und VIVA nach der Übernahme durch den US-Medienkonzern Viacom 2004 bemerkbar und erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt durch den Wechsel von MTV als Free-TV zum Pay-TV Sender im Januar 2011 (LÜCKERATH 2010).

Zusammenfassend kann man konstatieren, dass das Jugendprogramm in Deutschland von Anfang an mit massiven Schwierigkeiten konfrontiert ist und sich im Laufe der Jahre mit ständigen Umstrukturierungen, kontroversen öffentlichen Diskussionen, institutionsinternen Maßnahmen und der geringen Resonanz der Zuschauer auseinandersetzen musste. Das was davon heute noch übrig geblieben ist, beschreibt Mattusch in seiner Veröffentlichung „Jugendprogramm in der BRD – Ein Programm zwischen den Stühlen“ als „Integrationsprogramm“, welches für alle Altersgruppen offen ist. Es handelt sich eher um ein verstecktes und folglich kaum noch als reines Jugendprogramm identifizierbares Angebot (1993: 25f.). Jugendorientierte Sendungen finden nicht mehr in den Vollprogrammen statt, sondern werden von den Verantwortlichen in den privaten und öffentlich-rechtlichen Spartenkanälen versteckt.

3. Entwicklungen und Trends

„Wir gucken alle kein Fernsehen mehr"
Philipp Laude | Mitglied des YouTube Comedy Trios Y-Titty, Fichter 2013

Aktuelle Ergebnisse der ARD / ZDF-Onlinestudie zeigen, dass Videoportale bei den Jugendlichen immer beliebter werden und stetig mehr User anziehen. Die Zahlen erwecken den Eindruck als ob sich eine Generation langsam aber sicher vom Lead-Medium Fernsehen abwendet und Unterhaltungsinhalte zunehmend auf Videoportalen sucht, die mit dem traditionellen Fernsehen nur noch wenig gemein haben. Durch die zunehmende Verbreitung des Internets gewinnt dieses als zusätzlicher Distributions- und Kommunikationskanal an Bedeutung (NEU-BERGER 2009: 37). Das zudem veränderte Verständnis von Öffentlichkeit führt dazu, dass jeder Nutzer durch den Einsatz von multimedialen Inhalten im Internet zum Kommunikator werden kann, wodurch die Aspekte Raum und Zeit immer mehr an Bedeutung verlieren (ebd.: 23f.). Aus rechtlicher Sicht betrachtet sind Videoportale kein Rundfunk, sondern „elektronische Informations- und Kommunikationsdienste“ (§1 (1) TMG). Die audiovisuellen Mediendienste werden im Unterschied zum klassischen Rundfunk erst auf Abruf bzw. Anfrage abgespielt und generieren so eine höhere Aufmerksamkeit (MACHILL ZENKER 2007: 9). Die riesigen Datenbanken der Bewegtbildanbieter sind im Vergleich zum Fernsehen nach inhaltlichen Kriterien und nicht nach Programm sortiert. Mittels Schlagwortsuche findet sich so beinahe zu jedem Thema ein kurzer Videoclip (PATALONG 2007). Auf YouTube kann jeder Nutzer zum Regisseur werden und seine selbst produzierten Videos einem Millionen-Publikum zur Verfügung stellen. Die jungen Videoblogger, die ihre Videos meist in ihrer privaten Umgebung aufnehmen, verstehen sich häufig in der Rolle des Ratgebers und stellen Anleitungen aus den Bereichen Mode, Beauty oder Lifestyle online. Die Klickzahl der Videos entscheidet dabei, ob ein YouTube-Künstler erfolgreich ist. Je mehr Zuschauer ein Beitrag erzielt, desto eher besteht die Chance, dass mit den Videos Geld verdient werden kann (BÖHM 2011). Unternehmen sind stark daran interessiert, erfolgreiche Blogger mit ihren Produkten zu versorgen, da diese dadurch direkt der Zielgruppe präsentiert werden können. Dabei ist die Grenze zwischen Sponsoring und Schleichwerbung oftmals fließend und sorgt immer wieder für öffentliche Diskussionen. Eine andere Art der Werbefinanzierung findet mittels eines Partnerprogramms statt, bei dem Unternehmen im Umfeld der Videos ihre Werbung platzieren (ebd.).

Das Potenzial, das hinter diesen Nachwuchs-Künstlern steckt, haben mittlerweile auch Medienunternehmen wie die Kölner Firma Mediakraft Networks entdeckt, die sich ganz darauf spezialisieren, „die besten Videomacher aus den Bereichen Entertainment, Beauty, Sport, News und Urban Culture“ zu betreuen, um „qualitativ hochwertige und relevante Inhalte für ein Millionenpublikum zu erstellen“ (MEDIAKRAFT NETWORKS 2014). Mithilfe von erfahrenden Mitarbeitern wird für die Videoblogger ein individuelles Social Media Konzept erarbeitet und professionell produzierte Unterhaltungsangebote erstellt. Mediakraft Networks vertritt über 700 verschiedene Kanäle mit 200 Millionen Aufrufen monatlich (FICHTER 2013). Mitgründer Christoph Krachten arbeitete 30 Jahre für das traditionelle Fernsehen, bevor er das Potenzial der Videoplattformen entdeckte. YouTube bezeichnet er auf gewisse Weise als professioneller als Fernsehen, da es beweglicher sowie innovativer ist und keiner auf die Entscheidungen eines Vorgesetzten warten muss (ebd.).

Der seit 2011 jährlich verliehene Webvideopreis für innovative und herausragende Online-Videos aus dem deutschsprachigen Raum zeigt, welchen Stellenwert die medialen Angebote aus dem Internet inzwischen haben. Die Verleihung, auch als „Oscars der Generation YouTube“ (GRESSNICH 2014) bezeichnet, wird auf ebendieser Plattform live übertragen. Auf den Social Media Plattformen wie Facebook oder Twitter verzeichnet der Webvideopreis mehr Fans als vergleichbare Auszeichnungen wie der Deutsche Filmpreis, Goldene Kamera oder der Musikpreis Echo (ebd.).

Für die Jugendlichen hat der Medienwandel also längst stattgefunden, und die Abwendung von klassischen medialen Angeboten wird deutlich. Will man diese Zielgruppe nicht gänzlich verlieren, ist es nun Aufgabe der Vollprogramme, diesem Paradigmenwechsel ein ebenbürtiges Angebot entgegenzusetzen.

[1] Dieser Artikel reflektiert ausgewählte Ergebnisse der Masterthesis „Jugendfernsehen in Deutschland – Ein Auslaufmodell?! Eine deskriptive Analyse über das Fernsehnutzungsverhalten und die Präferenzen für Programmsparten von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren“ von Fiona-Teresa Natter, Berlin, 2014

4. Literatur