Modulare Figurenentwicklung

04.12.2014

Konzeption und Gestaltung komplexer Piktogramm-Serien am Beispiel von Olympischen Sportpiktogrammen – Aufstellung der neugeschaffenen Möglichkeiten durch eine modulare Figurenentwicklung.

Was ist die modulare Figurenentwicklung und wie entstand sie?

Bei der Analyse der Piktogramme von Otl Aicher fiel mir auf, dass durch ihren Aufbau – lineare Glieder ohne Füße und Hände sowie grundsätzlich runder Kopf – zwar ein eindeutiger Erkennungswert geschaffen wird, der jedoch den individuellen Ausdruck des Körpers nicht unterstützt und eine detaillierte Darstellung nicht zulässt. Ebenfalls fiel mir auf, dass jedes einzelne Piktogramm von Grund auf neu gezeichnet werden muss und darüber hinaus nicht weiter benutzt wird. Vor diesem Hintergrund habe ich eine Figur geschaffen, die einen individuellen Körperbau aufweist und habe ein detailliertes, funktionsfähiges Bauprinzip entwickelt, das es möglich macht, Einzel-Piktogramme und Piktogramm-Serien sowie Bewegungsabläufe effizient anzulegen.


Abb. 1) Vorderansicht der Figur für die Olympia-Piktogramme im Vergleich zum menschlichen Körper links

Konstruktion einer digital gezeichneten beweglichen Figur, deren Körper dem Thema nach individuell gebaut und ausgestattet wird.

Die Gestaltungsmöglichkeit der Charakteren sind nahezu unbegrenzt. Die von mir erschaffenen Figuren besitzen ein einheitliches Innenleben aus Drehpunkten und Achsen, das mit dem menschlichen Skelett und seinen Gelenken vergleichbar ist. Die Einzelglieder laufen bei Bewegung so weich ineinander über, dass der Eindruck entsteht, dass diese mit einer „Haut“ überzogen sind. Durch intensive anatomische Studien besitzt sie sehr ausgeglichene Proportionen, wodurch nahezu jede Haltungen dargestellt werden kann. Dies ist vor allem auch deswegen möglich, weil sie nicht, wie sonst üblich, aus einer Ansicht besteht, sondern aus Vorder- und Seitenansicht sowie einer Halbseitenansicht, wenn erforderlich.

Ausstattung und Formgebung der Figur

Jede einzelne Ansicht besitzt eine Auswahl zusätzlicher, variierter Glieder wie etwa offene und greifende Hand, Faust sowie Fuß, voll aufliegend oder auf den Fußballen stehend. Letztlich besitzt sie eine Vielzahl von Verkürzungen, die eine perspektivische Darstellung ermöglichen. Diese Herangehensweise ist vergleichbar mit dem Schneiden einer Schriftfamilie. Auch die Formgebung weist Parallelen zur Schriftentwicklung auf. Hat die lineare Form der Olympia-Piktogramme von Otl Aicher folgerichtig mit der klassizistischen Linear-Antiqua "Univers" von Adrian Frutiger zusammen das Corporate-Design der Olympischen Sommerspiele 1972 in München bestimmt, ist für die von mir entwickelte Figurenreihe mit wechselnder Strichstärke eine Wechselstrich-Antiqua oder Grotesk aus der Renaissance-Antiqua denkbar.


Abb. 2) Vorder- und Seitenansicht der Modularen Figur mit sichtbaren Gelenken links sowie den zusätzlichen Einzelgliedern und Verkürzungen rechts

Arbeitsweise

Die Figur wird rein rechnerisch im digitalen Zeichenprogramm erstellt und jedes einzelne Glied wird numerisch exakt nach einer vorher bestimmten Gradzahl bewegt. Dadurch bleibt sie trotz der Vielzahl der Haltungen immer gleich in Größe und Ausdruck. Darüber hinaus kann ich durch die Genauigkeit einfacher und schneller als auf zeichnerischem Wege arbeiten. Bisher wurden solch komplexe Figurendarstellungen immer von Zeichnern manuell angefertigt, hier muss jede Figur von Grund auf neu gezeichnet werden und unterliegt naturgemäßen Schwankungen. Um dem entgegen zu wirken, habe ich im Laufe der Zeit einen komplett festgelegten, voll funktionsfähigen Arbeitsablauf für das Arbeiten mit der Figur entwickelt. Vergleichbar mit einem Setzkasten aus dem Bleisatz nach Gutenbergschem Prinzip, aus dem ich anstatt einzelnen Lettern einzelne Glieder der Figur entnehme und auf einem Raster passgenau zusammensetze.


Abb. 3) Sportpiktogramme auf Raster-Hintergrund

Einsatzmöglichkeiten

Durch die digitale Herstellung der Figur kann sie interdisziplinär eingesetzt werden. Nach ihrem Prinzip habe ich einerseits Piktogramme und komplexe Bewegungsabläufe für den grafischen Bereich erstellt. Da sie voll bewegungsfähig ist, kann ich im Animations-Programm bewegte Bilder einzelner Abläufe visualisieren. Dadurch ist es möglich, ein Corporate Design für Figuren zu erschaffen.


Abb. 4) Bewegungsablauf Hürdenlauf

Im Detail sind die Anwendungsmöglichkeiten noch viel zahlreicher, so kann man etwa der Figur bestimmte Kleidung anpassen oder Einzelglieder farblich hervorheben. Eine wichtiger Schritt in der Anwendung ist letztendlich die Entwicklung einer qualitativ hochwertigen 3D-Software mit einer einfachen, logisch aufgebauten Benutzeroberfläche, die es möglich macht, die Figuren nach Bedarf zu animieren und einzelne Werkzeuge, Sportgeräte oder Kleidung hinzufügt.


Abb. 5) 35 Olympia-Piktogramme

Kommerzielle Nutzungsmöglichkeiten

Für mich persönlich ist der grafische Bereich sehr wichtig. Daher habe ich die Vorstellung, unterschiedlichste Charakteren von Figuren zu schaffen, die alle Disziplinen durchlaufen, also vom einzelnen Piktogramm über Bewegungsabläufe bis zur Animation.

Kommerzielle Nutzungen sind im Einzelnen Bewegungsabläufe und einzelne Figurenhaltungen für Fachliteratur, u. a. im sportlichen, medizinischen und pädagogischen Bereich. In diesem Bereich wäre es sehr interessant, auch Darstellungen im Inneren des Körpers wie z. B. Organe, Nervensystem und Knochenbau grafisch und animiert zu entwickeln. Darüber hinaus spielen Grafiken und Piktogramme für Bedienungsanleitungen, Zeitschriften, Logo-Entwicklung und Verkehrszeichen eine Rolle. Zusätzlich können Leitsysteme und Piktogramm-Serien für nationale und internationale sportliche und kulturelle Großveranstaltungen sowie in Museen, Behörden und pädagogischen Einrichtungen entwickelt werden.

Potenzielle Kunden wären nationale und internationale Sportverbände wie der Deutsche Sportbund, das nationale und internationale Olympische Komitee. Des Weiteren Verlage, die sich mit Bewegungsabläufen, Trainingslehre sowie allgemeinmedizinischen, orthopädisch-biologischen Abbildungen beschäftigen, der Museums- und Ausstellungsbereich, Sportfirmen wie Adidas, Puma oder Nike und im pädagogischem Bereich Schulen und Universitäten.

Zukünftige Anwendung

In der Anwendung von mir bereits belegte Beispiele sind die Figur Sportler, muskulös, kräftig von der ich 35 Olympia-Piktogramme, einen grafischen Bewegungsablauf sowie eine Animation vom Hürdenlauf erstellt habe. Zusätzlich habe ich die grazile Figur Ballerina entwickelt, von der ebenfalls ein grafischer Bewegungsablauf, eine Animation und letztlich eine 80-seitige Dokumentation existiert.

Meine Vorstellung geht dahin, eine männliche und eine weibliche Figur zu konstruieren, die jeweils in den Altersstufen Kind, Erwachsener und älterer Mensch geformt und im grafischen Bereich non-verbaler Verständigung als Piktogramm, Verkehrsschild oder allgemein Leitsysteme regional und überregional eingesetzt werden kann.

Durch meine aktive Arbeit in der Lehre mit Mediadesign-Studierenden an der MD.H, der Mediadesign-Hochschule am Standort Düsseldorf, habe ich die Möglichkeit, mein Wissen weiterzugeben und in meinen Schwerpunkt-Fächern Typografie und Semiotik bestehende Standarts zu überprüfen, zu verbessern und neue Maßstäbe zu entwickeln.

Abb6: Flash-Animation „Hürdenlauf“.
zum starten der Animation mit der Maus anklicken und „Leertaste“ drücken