Startschuss für Virtual Reality – Einstiegsmöglichkeiten und Prognosen zur Zukunft der VR-Technologie

18.05.2016

2014 haben wir VR bereits als mögliche Zukunft der Videospiele diskutiert. Da nun, zwei Jahre später, die weltweiten Markteinführung unterschiedlicher VR-Headsets im Consumerbereich angelaufen ist, wird es Zeit einen zweiten Blick auf die Technologie zu werfen. Dazu betrachten wir einen Blick auf die unterschiedliche Hardware und auf die Inhalte die vorraussichtlich im Laufe des Jahres dafür angeboten werden.

Bereits seit 2014 kann man für das Google Cardboard oder kompatible Headsets erwerben. Dabei handelt es sich um ein vergleichsweise simpel gehaltene Gestelle aus Pappe oder Plastik, in die ein handelsübliches Smartphone von ca. 5 bis 6 Zoll Bildschirmgröße vor zwei Linsen gesteckt werden kann. Das Display des Smartphones zeigt die stereoskopischen Bilder für das linke und rechte Auge getrennt an. Die Kosten halten sich bei dieser Variante in Grenzen: Etwa $15 bis $40 werden für einfachere Varianten fällig, die dann etwa aus Pappe bestehen und vom Nutzer zusammengesteckt werden müssen. Es werden aber auch teure Varianten etwa mit Zeiss Optik für über $100 angeboten. In Deutschland bekommt man aktuell eine "VR-Smartphone-Brille" für 12,95 EUR bei Tchibo.


Abb. 1: VR-Smartphone-Brillle im Angebot bei Tchibo (Quelle: http://www.tchibo.de/vr-smartphone-brille-p400087957.html)

Über Google Play und den Apple App Store sind bereits einige Angebote erhältlich, die erste Einblicke in kommende VR-Angebote ermöglichen. Neben einfachen, virtuellen Achterbahnfahrten, bei denen sich der Spieler automatisch bewegt aber in alle Richtungen umsehen kann, gehören dazu auch schon aufwändigere VR-Abenteuer wie "Hidden Temple" vom deutschen Entwicklerstudio HandyGames. Da das Cardboard keinerlei weitere Interaktionsmöglichkeiten bietet als die Blickrichtung über die Kopfbewegung zu steuern, aktiviert der Spieler hier Objekte, indem er das Auge in der Bildmitte auf Interaktionsmöglichkeiten in der Umgebung richtet. Für 360°-Videos kann ein Viewer für das vorhandene Angebot von VR-Inhalten auf YouTube genutzt werden.

Seit Ende 2015 bietet Samsung mit der Gear VR ein etwas aufwändigeres Headset an, das sich mit einem kompatiblen Smartphone von Samsung verbindet und einfache Bedienelemente an der Seite des Headsets bereitstellt. Das Headset wird in den USA für $99 und in verkauft, setzt aber zusätzlich ein kompatibles Smartphone für etwa $600 oder mehr voraus. Unterstützt werden dabei nur die neusten Modelle im Sortiment aus der Galaxy und Note Reihe. Optional kann zusätzlich außerdem ein Gamepad von Samsung erworben werden, das allerdings ebenfalls etwa etwa $80 kostet. Interessant ist, dass Samsung zur Markteinführung des Galaxy S7 aktuell das Headset für Vorbesteller als Bonus anbietet, vermutlich um die Verbreitung des Headsets zu steigern und mittel oder langfristig mehr VR-Inhalte absetzen zu können. Die Inhalte werden über einen eigenen Store angeboten. Neben Spielen gehören hier bereits Apps wie z.B. Netflix zum Angebot oder eigene Filme. Da Samsung mit Oculus zusammenarbeitet dürften hier auch in Zukunft die von Oculus produzierten Video Angebote erhältlich sein.

Im Frühjahr 2016 folgen mit dem Oculus Rift und der htc Vive zwei Headsets, die zum Einsatz mit leistungsfähigen PCs gedacht sind. Als Ausstattung wird für den Rechner neben einer leistungsfähigen CPU auch eine leistungsfähige Grafikkarte empfohlen. Ein entsprechender Rechner kostet etwa $1.000 bis $1.500. Das Headset nochmals $600 für die Oculus Rift bzw. $800 für das htc Vive. Während Oculus mit der Rift bisher nur ein Headset und einen herkömmlichen Xbox-Controller anbietet, liegen dem htc Vive zwei drahtlose Controller bei, die speziell für VR-Anwendungen entwickelt wurden. Ein entsprechendes Angebot von Oculus in Form der Oculus Touch wird voraussichtlich erst in der zweiten Jahreshälfte erscheinen. Dafür sind am Headset der Oculus Rift Kopfhörer angebracht. Vive Nutzer müssen eigene Kopfhörer anschließen.

Die Unterschiede zwischen Oculus Rift und htc Vive machen bereits deutlich, dass es sich hier um eine ähnliche Konkurrenzsituation handelt wie etwa zwischen Sony und Microsoft mit ihren Videospielkonsolen. Entsprechend gehören zu beiden Geräten exklusive Spieletitel. Dabei scheint htc den Fokus verstärkt auf Gamer zu richten. Als Store wird hier die bekannte Plattform Steam genutzt, auf der VR-Spiele entsprechend gekennzeichnet werden. Mit weltweit ca. 125 Millionen Nutzern, davon bis zu 12 Millionen gleichzeitig online, gehört Steam zu den wichtigsten Plattformen für Videospielangebote am PC. Zwar können viele der VR-Spiele auf Steam auch mit der Oculus Rift gespielt werden, allerdings nicht solche, die für die Vive Controller optimiert sind. Die Vive-exklusiven Spiele stellen dieses Alleinstellungsmerkmal daher in den Vordergrund.

Möglicher Nachteil des Ansatzes von htc, die Bewegung des Spielers im Raum einzubinden ist allerdings, dass dies entsprechende Räumlichkeiten beim Endverbraucher voraussetzt. Wer vor seinem Gamer-PC etwa nur Platz für einen Schreibtischstuhl vorgesehen hat, bekommt u.U. Probleme mit dem verfügbaren Platz. Und selbst in Wohnzimmern müssen u.U. Möbelstücke wie Couchtische entfernt werden, ähnlich wie es für Microsofts Kinect Kamera notwendig ist.

Das Playstation VR Headset ist für Oktober 2106 angekündigt. Das Headset von Sony wird mit der Playstation 4 Konsole betrieben und erfordert zusätzlich die bereits erhältliche Playstation Camera. Der Preis liegt mit knapp 400 EUR deutlich unter dem der Konkurrenz. Dazu kommt, dass die PS4-Konsole mit $400 deutlich günstiger als die für Ocululs Rift und htc Vive empfohlenen PCs. Als Eingabegeräte wurden bei bisherigen Demonstrationen die bereits bekannten Playstation Move Controller verwendet, die Sony ursprünglich als Antwort auf die Bewegungssteuerung von Nintendos Wii entwickelt hat. Sie sind bereits seit 2010 auf dem Markt und erlauben ähnliche Interaktionen wie die Controller der htc Vive. Selbst wenn man hier Konsole, Kamera, VR-Headset und Move Controller zusammenrechnet, ist hier ein Einstieg in VR bereits für ca. 1000 EUR möglich. Sony dürfte als einer der Major Player im Geschäft mit Videospielkonsolen ebenfalls einige exklusive Inhalte im Spielebereich anbieten. Bis zum Jahresende sollen bereits 50 Spiele für das System erhältlich sein.

Einer vom Daily Telegraph zitierten Expertenmeinung zufolge sehen Experten die Angebote von Samsung und Sony mit einem Marktanteil von jeweils 21% gleich auf. Oculus und htc liegen mit 7% bzw. 8% deutlich dahinter. Die Prognose hat die erst seit kurzem bekannten Kosten für den Endverbraucher dabei noch nicht berücksichtigt. Für viele, die primär an Spielen interessiert sind, dürfte damit Playstation VR das interessanteste Angebot im Jahr 2016 sein, schlicht weil es das günstigste ist. Den größten Marktanteil sichert sich mit 30% allerdings das Google Cardboard, auch wenn es von der Qualität der Inhalte vermutlich im Spielebereich hinter den Angeboten der Konkurrenz zurückstecken muss.


Abb. 2: Experten sehen Samsung Gear VR und Playstation VR vor den Angeboten von Oculus und htc (Quelle: http://cloud.highcharts.com/embed/yrobed)

Allerdings sind Spiele nicht der einzige Einsatzbereich im Unterhaltungssektor: Dass Firmen wie ProSieben und Axel Springer 2015 in 360°Kameratechnik investiert haben, die zum Erstellen von VR-Video-Inhalten genutzt werden kann, lässt bereits vermuten, dass etwa Fernsehshows wie „The Voice of Germany“ oder „Big Brother“ bald um ein entsprechendes VR-Angebot ergänzt werden könnten. Ein erster Test in diese Richtung fand bereits im Dezember 2015 mit einem 360° Live Stream des „The Voice“-Finales statt. Ähnlich wie bei Spielen kann man hier aber davon ausgehen, dass VR zunächst ähnlich wie 3D ein zusätzliches oder alternatives Angebot bleiben wird.

Sieht man 2016 als "Stunde 0" für Virtual Reality und stellt die zum Einstieg verfügbaren Angebote für Endverbraucher gegenüber, kann man festhalten, dass VR zunächst nur für Enthusiasten wie beispielsweise Gamer interessant sein dürfte. Wer sich momentan schon für das VR-Erlebnis interessiert, findet mit Angeboten wie Google Cardboard eine kostengünstige Einstiegsmöglichkeit, die die erste Neugier bereits vollständig befriedigen kann. Wer an einer der High-End-Lösungen von Samsung, Sony, Oculus oder htc interessiert ist, sollte hingegen noch abwarten bis sich herauskristallisiert hat, wer die besseren Exklusivinhalte anbieten wird.

Einer auf Statista veröffentlichten Studie von Kzero zufolge sollen 2016 weltweit schon 43 Millionen "Early Adopter" in die virtuelle Realität eintauchen. Bis 2018 sollen es dann bereits 171 Millionen Menschen sein. Entsprechend soll der Umsatz mit VR-Inhalten bzw. Software von etwas über einer Milliarde bereits 2016 bis 2018 auf 4,7 Milliarden ansteigen. Interessant ist auch, dass laut einer Umfrage des BIU nicht nur 62% der deutschen Internetnutzer zwischen 14 und 19 Jahren Virtual-Reality-Brillen für Videospiele nutzen möchten, sondern auch 37% der Befragten zwischen 40 und 49 Jahren und 20% der Internetnutzer über 50. Die Interesse an VR-Inhalten scheint sich damit durch alle Altersgruppen zu ziehen.

Es sieht also so aus, als würde der VR-Boom 2016 tatsächlich ins Rollen kommen. Wie schnell er an Fahrt aufnimmt, wird nicht unwesentlich von der Qualität der angebotenen Inhalte abhängen. Wir dürfen gespannt sein.


Abb. 3: Interesse deutscher Internetnutzer an VR-Headsets (Quelle: http://www.biu-online.de/de/presse/newsroom/newsroom-detail/datum/2015/07/27/grosses-interesse-an-virtual-reality-brillen.html)