Urinstinkt des Designers

26.08.2015

Virtuelle Welten erfordern die Widerbelebung der Illustration als Gestaltungsmittel. Auch wenn diese hiermit als Bestandteil der modernen Kunst lange noch nicht rehabilitiert ist, so spielt sie doch seit Jahrzehnten eine zunehmend wichtige Rolle in Film und Games.

Vergleichbar mit der Industriellen Revolution des neunzehnten Jahrhunderts fordern die digitalen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte die Menschheit zur Neudefinition ihrer Rolle als Individuum in der Gesellschaft auf. Nicht nur die rasanten Fortschritte bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz sondern auch Arbeitshilfen wie CAD Programme (Computer Aided Design) erzwingen geradezu die Besinnung auf die grundlegenden Eigenschaften von uns als neuste Variante der Hominiden. Die Welt ist besiedelt, ein neuer virtueller Raum wird erschlossen und unser Erfindergeist stellt uns mit der Entwicklung von Robotern vor die Frage ob wir uns in kürze nach etlichen Jahrtausenden nicht selber überflüssig machen. Was macht uns unersetzlich?


Bild 1: Strukturen im Chaos – Megapolis Studie 1

Bild 2: Interpretation von Formen und Gesichtern in Kacheln

Wenn die Frage nach unserem Selbstverständnis manchem wie eine Ablehnung unserer neuesten Hilfsmittel klingen mag so würde diese Interpretation ein Ausweichen vor der unumgänglichen Frage bezüglich unserer Zukunft und Daseinsberechtigung unterstellen, ähnlich dem Entfliehen der Realität in die global vernetzte, digitale Unendlichkeit die eine Vielfalt an Unterhaltungsmedien uns gegenwärtig bietet. Die Vielzahl an Neuerungen erleichtert Arbeitsprozesse in nahezu allen Gebieten der Produktion, was die dringliche Frage nach dem Wert des Menschen auf die Tagesordnung bringt, doch eben dies lässt uns auch Zeit für Unterhaltung. Immerhin: Im Vergleich zu technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte setzen wir unsere neuen Mittel in einem wesentlich geringeren Maße als zuvor für aggressive Zwecke ein.

Damit nähern wir uns thematisch bereits einer der Eigenschaften, die digitale Hilfsmittel uns nicht abnehmen werden: Verantwortung! Der mit Mitteln der digitalen Medien zunehmende Einfluss der Unterhaltungsbranche Medien geht Hand in Hand mit gesellschaftlicher Verantwortung, der auch die Designer der digitalen Film- und Spieleindustrie sich zu stellen haben. Spannungsfelder entstehen zwischen Verrohung und der Ventilwirkung für Gewaltneigungen, Reduzieren von Vereinsamung und Suchtverhalten.

Die Sucht des Menschen nach Neuem lässt sich ebenfalls nur schwer in künstliche Intelligenzen programmieren, noch weniger die Fähigkeit zu vielfältiger Interpretation. Die schöpferische Rolle des Menschen als Erfinder und Designer gewinnt hiermit an Wichtigkeit.

Ebenso wenig wie Lernprozesse sich vereinheitlichen lassen sind Entwurfsprozessen in linearer Weise zu standardisieren, sondern sind von individueller Programmierung und Sinneswahrnehmungen des Designers abhängig. So wie Nutzgegenstände sich nicht auf die Menge des hierbei angewandten Materials reduzieren lassen, beleuchten unterschiedliche Theorien für die Entwurfslehre lediglich Ansätze. Diese mögen zweifellos hilfreich sein, doch einen eindeutigen Weg aus dem kreativen Chaos bieten sie kaum, da, ganz ähnlich der Stammbäume der Evolutionslehre, Entwurfsprozesse fortlaufenden Wechselspielen zwischen Variation und Selektion unterworfen sind. Abhängig vom Gewerbe in dem das Design entsteht spielen bis zur Ausfertigung natürlich weitere Aspekte (Stabilität, Organisation, Material usw. aber auch Ästhetik) maßgebliche Rollen. Lassen sich uns die hierfür notwendigen Erfahrungswerte durch digitale Programme abnehmen?

Die Hilfestellung (das „Aided“ in der Abkürzung CAD) bietet hier wenig Ersatz für die Lehren aus eigener Observation, die sich nach wie vor am tiefsten im Bewusstsein festigen, wenn sie nicht nur mit dem eigenen Auge durchgründet werden, sondern mit Hilfe des genialen taktilen Körperteils Hand und Stift notiert werden. Das genaue Studium unserer Welt in all seinen Facetten und Teilen, sei es Anatomie, Statik, Textur, Spiel von Licht und Farben hat keine niedrigere Priorität für die Schöpfer virtueller Welten, seien sie nun real, historisch oder völlig fiktiv. Auch wenn sich Parameter dieser Welten von der unseren unterscheiden mögen bleibt doch ein kohärentes Zusammenwirken von Umwelteinflüssen und Schwerkräften notwendig und auch absurdeste Geschöpfe und Formen verlieren ihre Wirkung, wenn dem Betrachter jegliche Assoziation zu Bekanntem unmöglich gemacht wird.

Als sei die Liste der Erfahrungen und Prozesse, die ein Designer in seine geistige Bibliothek einordnen muss, nicht bereits lang genug – und ganz sicher ließe sich da noch Vieles ergänzen - so führt gleichzeitig die Summe dieser noch lange nicht zu guten Entwürfen, geschweige denn zu originellen. Man mag Erfahrung haben im Kopieren bekannter Elemente, im besten Falle mit genügend Variation um die Inspirationsquelle zu verschleiern. Neu oder originell macht dies ein Design noch lange nicht.

Manch angehender Designer vertieft sich in Studien oder noch tiefere Meditation, doch hilft dies selten, die meist weiße Leere der Arbeitsfläche zu beleben. Was immer hilft ist Chaos. Nicht jenes Chaos das häufig verwechselt wird mit Unordnung in Ateliers, jedoch liegt im Chaos die Wurzel der Neuschöpfungen. Seit den frühen Tagen der Evolution sind Gehirne programmiert, sowohl Beute als Gefahren zu erkennen durch Interpretation einer unübersichtlichen Umgebung.

Es ist das Lesen von Spuren im Chaos das uns den Weg öffnet zu neuen Entwürfen, ob dies die Schäfchen in den Schäfchenwolken sind, Strukturen in unregelmäßigen Texturen in unserer täglichen Umgebung oder ein Gewirr aus Strich und Linie auf Papier, unser Auge beginnt aus dem Zufall Muster zu erkennen und Zusammenhänge zu lesen. Diese Interpretation von nie dagewesenen Formen zu neuen Kreaturen und Welten ist eine gestalterische Grundeigenschaft des Menschen die sich auch durch fortschrittlichste Programme nicht ersetzen lässt.